Von Mathias
Deppisch
An einem
Sonntagabend steht das Handy bei Martin Kussmann selten still.
Zahlreiche Anrufe seiner Schützlinge erreichen ihn. Handball-Torhüter
geben Rückmeldung über ihre Leistungen vom Wochenende. Kussmann
ist bei keinem Verein fest angestellt, sondern der private Coach
einer ganzen Reihe von Torhütern - einige von ihnen sind in der
1. oder 2. Bundesliga aktiv.
Torhüter Martin Ziemer (r.) setzt auf die Dienste von Martin
Kussmann (l.).
Kussmann, hauptberuflich
Polizeibeamter in Minden, betreut Profisportler, die im
Haifischbecken Bundesliga Konkurrenten sind und um die wenigen
begehrten Plätze zwischen den Pfosten kämpfen. "Gerade
deswegen kommen viele Torhüter zu mir. Sie wollen sich verbessern
und weiterentwickeln", glaubt Kussmann.
Er trainiert mit seinen Schützlingen
zusätzlich zu den Einheiten, die diese bei ihren Vereinen
bestreiten. Und das können in der Bundesliga durchaus sechs bis
sieben sein. Trotzdem bucht beispielsweise Martin Ziemer, der
vergangene Woche vom Erstligisten HSG Ahlen/Hamm zur HBW
Balingen-Weilstetten gewechselt ist, zusätzliche Übungseinheiten
bei Kussmann. "Ein individuelles Training ist heutzutage
unabdingbar. Das gilt für nahezu alle Spitzensportler", so
Ziemer.
Dabei hatte er bei der HSG
Ahlen/Hamm die volle Unterstützung seines Trainers Kay
Rothenpieler: "Ich habe überhaupt kein Problem damit. Im
Gegenteil: Wenn einzelne Spieler besser werden, profitieren wir
als Mannschaft davon. Zu Martin Ziemers sehr guten Entwicklung hat
Martin Kussmann einiges beigetragen."
"Torhüter kommen oft zu
kurz"
Bundesliga-Coach Kay Rothenpieler
hat kein Problem mit dem Privat-Training.
Rothenpieler geht es wie vielen
Cheftrainern in der Handball-Bundesliga: Sie kümmern sich in
erster Linie um taktische Feinheiten für den Angriff und
studieren Abwehrformationen ein. "Da kommen die Torhüter oft
zu kurz", räumt Rothenpieler ein.
Martin Kussmann hingegen arbeitet
individuell und ausschließlich mit Torhütern. Nachdem er bis
2003 als Mannschaftstrainer in der Verbandsliga beschäftigt
war, entschloss sich Kussmann, sich als Torwarttrainer zu
spezialisieren. "Ich habe von der 1. Liga bis zur
Kreisklasse viele Gespräche geführt. Die einhellige Meinung der
Torhüter war, dass sie sich im normalen Mannschaftstraining nicht
genügend gefördert fühlten." Diesem Umstand wollte
Kussmann entgegentreten und bot seine Dienste in der
Handballhochburg Minden und Lübbecke an.
Hausieren gehen muss der 49-jährige
mittlerweile nicht mehr. Viele gute Torhüter suchen selbständig
den Kontakt zu Kussmann. So gehören neben Ziemer u.a. auch dessen
Ex-Mannschaftskollege Tomáš Mrkva (Kussmann: "Eines der größten
Torwart-Talente in Europa"), Dario Quentstedt vom SC
Magdeburg (1. Bundesliga), der aktuelle deutsche
Junioren-Nationaltorwart Nils Dressrüsse von GWD Minden und
Oliver Mayer (TV Korschenbroich, 2. Bundesliga) zu seinen
Klienten. Darüber hinaus trainiert Kussmann noch Torsteher aus
der 3. Liga (GWD Minden II und LIT Nordhemmern/Mindenerwald)
sowie einige talentierte Jugendtorwarte aus dem Kreis Minden-Lübbecke.
Und was macht das Training von
Kussmann so besonders? "Er achtet auf Kleinigkeiten und
korrigiert selbst den kleinsten Fehler im Bewegungsablauf. Viele
der Torwarttrainer, die ich bislang hatte, haben dafür überhaupt
kein Auge. Ich lerne wirklich bei jeder Einheit etwas",
berichtet Oliver Mayer, der über sieben Jahre Zweitliga-Erfahrung
verfügt.
Roter Faden
Wichtig für die Keeper ist es,
dass sie Trainingserfolge auch mit in den Wettkampf nehmen können.
"Ich liefere den roten Faden, der es den Torhütern ermöglicht,
sich selbst zu überprüfen und zu kontrollieren", so
Kussmann, der den Großteil seiner Übungen selbst kreiert hat. Überdies
führt er intensive Gespräche mit seinen Schützlingen. "Ein
Torwart muss mental stark sein. Es kommt in der Regel viel
schneller Kritik an seinen Leistungen auf, Lob ist selten und nur
bei Ausnahmeleistungen der Fall."
Erstligatorwart Martin Ziemer hat
unter der Ägide von Kussmann einen unübersehbaren
Leistungssprung vollzogen hat. "‘Kussi‘ ist der erste
Torwarttrainer, mit dem ich systematisch arbeite. Sein Training
verbindet alle Elemente, die ich für den Wettkampf brauche:
Kraft, Technik und Konzentration. Ob Training oder Wettkampf - ich
vergegenwärtige mir seine Tipps ständig. Das hilft mir
ungemein", so die Erklärung Ziemers, der anfangs die
Finanzierung für Training und Anfahrt sogar selbst trug. Später
übernahm die HSG Ahlen/Hamm die Finanzierung. Trainer Kay
Rothenpieler meint: "Dass in gewissen Bereichen mit
Spezialisten gearbeitet wird, ist ja ein genereller Trend. Aber es
ist auch eine Frage des Budgets." Bei einem Zweitligisten wie
dem TV Korschenbroich ist das nicht realisierbar. "Dafür
haben wir leider kein Geld", so Oliver Mayer, der an freien
Tagen auf eigene Kosten nach Minden fährt und dort trainiert.
Oliver Mayer (TV Korschenbroich):
"Lerne bei jeder Einheit etwas".
Geeignetes Personal für den Job
des Torwarttrainers ist rar, wie die ehrlichen Worte von Kay
Rothenpieler verdeutlichen, der als ehemaliger Nationalspieler und
A-Lizenz Inhaber als überaus profunder Kenner seines Sports
anzusehen ist: "Wenn man selbst nie im Tor stand, ist es
schwierig, auf Topniveau Torhütern etwas beizubringen. Man hat
zwar vielleicht das theoretische Wissen, mehr aber auch
nicht."
Das ist bei Kussmann anders: Er
stand einst selbst zwischen den Pfosten und hütete das Tor von
GWD Minden. Mehr als Einsätze in der Regionalliga und 2. Bundesliga
hat er aber nicht geschafft. Kussmann schmunzelt: "Vielleicht
wäre mit einem guten Torwarttrainer mehr drin gewesen."
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